Pressemitteilung 2020/146 vom

Viele Lehrerinnen und Lehrer haben in den vergangenen Wochen aus dem Stehgreif digitale Unterrichtsformate entwickelt, andere sahen sich dazu nicht befähigt. Juniorprofessor Dr. Sven Hofmann kennt den Nachholbedarf bei den Digital-Kompetenzen gut. Der Inhaber der Professur für Didaktik der Informatik an der Universität Leipzig engagiert sich unter anderem im Projekt „Unterricht mit digitalen Medien in Sachsen“. Hofmann sagt: „Momentan kann ich mich als Lehrerin oder Lehrer der Materie digitaler Medien komplett entziehen, das darf nicht sein.“ Für die Zukunft der digitalen Lehre in den Schulen zeigt er sich aber optimistisch.

Herr Hofmann, Sie bereiten angehende Lehrerinnen und Lehrer auf das Verwenden digitaler Methoden und Formate vor, haben zum Teil auch Pädagogen mit dabei, die sich weiterbilden. Sie machen das in der Informatik, in den Naturwissenschaften, inzwischen auch darüber hinaus. Welche Chancen sehen Sie denn in digitalem Schulunterricht?

Wenn man von der reinen Präsenzlehre ins E-Learning geht, dann gibt es Potenziale, die man im Wesentlichen in vier Bereichen benennen kann. Als erstes ist die Schranke der Lernzeit zu nennen, also wann das Lehren und Lernen stattfindet. Neben synchronen Angeboten, sozusagen Live-Unterricht, kann man asynchrone Angebote machen. Dann können die Schülerinnen und Schüler selbst über ihre Lernzeit entscheiden. Das ist aber auch eine große Herausforderung für Schülerinnen und Schüler, die im Stundenplantakt drin sind und sich dann selbst einen Zeitplan setzen sollen.

Darüber hinaus kann man mit digitalen Formaten die Ortsschranke überwinden, es lässt sich an ganz unterschiedlichen Orten lernen – auch außerhalb der Schule. Eine dritte Schranke, die man überwindet, ist die analog-digitale. Statt des klassischen Tafelwerks oder Lehrbuchs gibt es dann im Idealfall digitale Medien, die um einiges interaktiver sind. Zu guter Letzt trainiert man andere Formen der Kommunikation inklusive der nötigen Benimmregeln – etwas, das man im heutigen Arbeitsleben auch gut gebrauchen kann. Dazu zählt zum Beispiel, anderen erstmal zuzuhören, andere ausreden zu lassen. Das muss im Digitalen noch stärker beachtet werden als ohnehin schon, denn Videokonferenzen funktionieren sonst nicht.

Aktuell vermitteln viele Erfahrungsberichte nicht den Eindruck, dass Schulen die Potenziale des digitalen Unterrichts vollumfänglich nutzen. Woran könnte das liegen?

Digitale Möglichkeiten werden im Moment sicher in sehr unterschiedlichem Maße genutzt, das überrascht mich auch nicht, wenn ich auf meine 20 Jahre im Schuldienst zurückblicke. Ich glaube, es braucht Verbindlichkeit, und die gab es in der Vergangenheit oft nicht. Inwieweit macht man digitale Kompetenzen verbindlich, inwieweit ist Digitalisierung Teil des Berufsethos? Welche Fortbildungsangebote gibt es? Muss man diese wahrnehmen oder kann man das tun? Im Arbeitsvertrag steht das leider nicht drin, er sollte es aber beinhalten. Momentan kann ich mich als Lehrerin oder Lehrer dieser ganzen Materie komplett entziehen, das darf nicht sein.

Die Digitalisierung wird in Sachsen fest in der Lehramtsausbildung verankert. Sie arbeiten mit im dazugehörigen Verbundprojekt „PraxisdigitaliS: Praxis digital gestalten in Sachsen“. Was hat es damit auf sich?

Standortübergreifend erarbeiten die Universität Leipzig und die Technische Universität Dresden ein umfassendes Konzept für die Digitalisierung der Lehramtsausbildung. Wir entwickeln unter anderem einen verbindlichen Katalog zu digitalisierungsbezogenen Kompetenzen von Lehramtsstudierenden sowie digitale Lehr-Lernszenarien. 

Es wird passend dazu ab 2021 zum Beispiel eine Pflichtvorlesung zu digitalen Medien geben, für alle Lehramtsstudierenden. Das wird sich dann auch in der sächsischen Lehramtsprüfungsordnung niederschlagen. Wir bieten diese Vorlesung bereits als Pilotveranstaltung an, im Ergänzungsbereich. Die 190 Plätze waren im Nu vergeben. Die Studierenden sehen den Bedarf also.

Sie haben zudem gegen Ende 2019 einen Zuwendungsbescheid vom Bundesforschungsministerium für das Projekt „Unterricht mit digitalen Medien in Sachsen (UndiMeS)“ bekommen. Was haben Sie in diesem Projekt vor?

Wir entwickeln erstmal einen Kriterienkatalog zu der Frage „Wann ist Unterricht digital?“ Ist es schon digitaler Unterricht, wenn eine digitale Tafel benutzt wird? Nein, ist es natürlich nicht. Aber dazu wollen wir den Schulen schlussendlich viel mehr an die Hand geben.

Zudem geht es uns um Musterszenarien für den digitalisierten Unterricht. Diese wollen wir gemeinsam mit Fachlehrern evaluieren und in Schulen prototypisch erproben. Im digitalen Unterricht ist die oder der Lehrende eigentlich nur noch Coach, steuert den Lernprozess, möglichst im Hintergrund. Das Medium wird zum leitenden Element.

Momentan müssen Lehrerinnen und Lehrer Corona-bedingt auch ohne Musterszenarien einiges ausprobieren. Wie groß ist Ihr Optimismus für den Fall, dass es in vier oder fünf Jahren eine ähnliche Situation gäbe?

Da bin ich sehr optimistisch. Die Institutionen, die das unterstützen müssen – seien es Ministerien, Schulträger, Schulen, Hochschulen – merken, dass man da nachsteuern muss. Im Wiederholungsfall werden wir über die nötige technische Ausstattung verfügen. Und die Lehrerinnen und Lehrer über das entsprechende Knowhow.

Es gibt natürlich eine wichtige Voraussetzung dafür. Nach Ende dieser Krise dürfen die Lehrerinnen und Lehrer nicht alle sagen: Bloß gut, endlich habe ich meine Kreidetafel wieder. Sie sollten die aktuelle Triebkraft beibehalten. Entsprechendes Engagement sollte unterstützt, aber auch eingefordert werden. Vielleicht gelingt das zum Beispiel, indem auch ohne Pandemie jede Schule mal einen Tag in der Woche hat, an dem der Unterricht komplett online stattfindet.